Warum besaß Deutschland keine strategischen Bomberflotten?

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Große Bomber wie die He 177 sind nicht einfach unter Bäumen zu verstecken.

Als das Deutsche Reich seine Bomberverbände aufzurüsten beginnt, wird Hermann Göring im Jahr 1936 von seinen Planern plausibel der Bedarf an schweren strategischen Bombern erklärt und deren Produktion dringend gefordert. Seine lapidare Antwort war: „der Führer frage ihn nach der Zahl der produzierten Bomber, nicht nach deren Größe!“…

Die frühzeitige Produktion viermotoriger schwerer Bomber in Deutschland scheitert also am Opportunismus des zuständigen Oberbefehlshabers der Luftwaffe, dem damaligen Generaloberst Hermann Göring, der es nicht wagt, berechtigte Interessen der Luftwaffe bei seinem vom ihm verehrten „Führer“ vorzutragen. Dies ist allerdings nur die halbe Wahrheit.

Tatsächlich muss Deutschland mit den Rohstoffen und seinen industriellen Kapazitäten ganz anders haushalten als England (mit amerikanischer Unterstützung), die USA oder auch die UdSSR. Vor allem Großbritannien und die USA als Inselstaaten haben es daher sowohl von ihrer interkontinentalen Weltsicht her als auch in Anbetracht ihrer Ressourcen leichter, andere Prioritäten zu setzen. Wer will im Jahr 1936 ahnen, wie verheerend für die deutschen Städte sich dies auswirken wird?

Als man es zu erahnen beginnt, werden die Weichen für einen strategischen deutschen Bomber schließlich doch noch gestellt. Er soll viermotorig sein, schnell, eine hohe Reichweite haben, eine schwere Bombenlast tragen können und bis zu mittleren Neigungswinkeln, die man später auf 60° erhöht, sturzflugtauglich sein. Die „eierlegende Wollmichsau“ eben. Wenn es weiter nichts ist?

Anfang 1939 ist der erste Prototyp der Heinkel He 177 „Greif“ fertig. Ein wahrlich revolutionäres Flugzeug! Um Luftwiderstand zu sparen und die Manövrierfähigkeit für die geforderte Sturzflugtauglichkeit zu erzielen, werden die vier Motoren in zwei Motorengondeln konzentriert. Je zwei Motoren – nebeneinander montiert – treiben also eine Propellerwelle an. Entsprechend riesig fallen die Vierblattrotoren aus. Die optische Präsenz zweier Propeller treibt das scheinbar zweimotorige Flugzeug somit tatsächlich mit der Kraft eines viermotorigen Bombers an – aber gegen den geringeren Luftwiderstand von nur zwei Motorgondeln.

Doch der Teufel liegt im Detail – und bei den realitätsfremd völlig überzogenen Forderungen des Reichsluftfahrtministeriums. Um ein derartig großes Flugzeug „sturzflugtauglich“ zu machen (welchen Sinn hat dies bei einem strategischen Bomber?), muss der Rahmen und der Tragflächenansatz verstärkt werden. Dies erhöht das Gewicht – und bringt den Bomber um den konstruktiv so clever erworbenen Geschwindigkeitsvorteil. Außerdem funktioniert es dennoch nicht. Weil es konstruktiv nicht gehen kann! Eine Spannweite wie die der He 177 dem echten Sturzflug und vor allem dem Abfangen auszusetzen ist wie die Forderung nach einem Fallschirmeinsatz mit dem Regenschirm. Es gibt bei aller Genialität von Konstrukteuren Gesetze der Physik, die nicht von oben herab wegzufordern sind.

Hinzu kommen schlicht konstruktive Fehler. Manche grenzen – man muss es sagen – an Dilettantismus. Der gesamte Kühlkreislauf ist unzuverlässig, die Ölleitungen lecken. Der Ärger ist programmiert.

Was folgt, ist die unrühmliche Karriere der ersten Serienexemplare als fliegende „Luftwaffenfeuerzeuge“. Motorenbrände kommen derartig häufig vor, dass der Gegner sich gar nicht erst die Mühe machen muss, den deutschen Super-Bomber abzuschießen. Und die gegenläufigen Motoren erzeugen unbeherrschbare seitliche Ausbrüche beim Start, wenn sie nicht sauber synchron laufen.

Die Version A-5 der Heinkel He 177 hält nach diversen Verbesserungen endlich, was der Entwurf von Anfang an versprach. Doch wie es eben so ist mit einem schlechten Ruf. Der psychologische Schaden ist im Gegensatz zur Technik irreparabel.

Andererseits steht diesen Angaben ein Statement deutscher Besatzungen gegenüber, welches erkennen lässt, dass man dem einzigen deutschen strategischen Fernbomber offenbar doch etwas Unrecht tut. Aus einer englischen Quelle übersetzt:

„Obwohl die He 177 eine problembeladene Entwicklungsgeschichte hatte und schlechte Noten von den Historikern erhalten hat, wurde sie von kriegsgefangenen Besatzungen dieser Maschinen hoch gelobt. Die Leistungen in großen Höhen waren gut, mit Geschwindigkeiten von 600 bis 650 km/h ‚mit Leichtigkeit erreichbar‘. Die He 177 A-3 wurde als besser manövrierfähig eingestuft als jeder andere deutsche Bomber.
Beide Besatzungen sind höchst enthusiastisch in Bezug auf die Motoren, die sauber und effizient laufen über unglaublich lange Flugstrecken hinweg. Das Abdrosseln (um Treibstoff zu sparen) und Hochfahren der Motoren findet nun ohne irgendein Risiko statt, dass die Maschinen Feuer fangen, eine Tendenz, die ehemals weit verbreitet war, als die Motoren erstmals in Benutzung standen …“

Warum bleibt den deutschen Fernbombern ein ähnlicher Erfolg versagt, wie ihn die alliierten Pulks erzielen? Die Antwort ist einfach und liegt weder an der Technik noch an taktischen Fehlern.

  • Mangelnde industrielle Kapazität und Rohstoff-Ressourcen haben den Aufbau einer derartig riesigen strategischen Bomberflotte, wie sie die Amerikaner und auch die Briten zum Einsatz bringen, niemals ermöglicht.
  • Selbst wenn eine erheblich höhere Anzahl He 177 früher verfügbar gewesen wäre, hätte es bei Tage an den Möglichkeiten gefehlt, einen ausreichenden Jagdschutz bereitzustellen.
  • Und vor allem: Nur etwa 400 dieser Bomber hätten bereits ein Achtel der monatlichen Treibstoffproduktion an Flugbenzin des Jahres 1943 konsumiert. Ab dem Jahr 1944 wird die Treibstoffknappheit immer bedrohlicher …

… was schließlich dazu führt, dass die deutschen Fernbomber ab Mitte 1944 überwiegend am Boden bleiben. Man hat einfach nicht genug Sprit für sie übrig. Den Rest besorgen die alliierten Jagdbomber.