Der Nachtjäger Heinkel He 219 „Uhu“ – das verkannte Genie

Heinkel He 219 mit Antennenanlage FuG 220 Lichtenstein SN-2

Im Jahr 1943 steht Deutschland an allen Fronten unter Druck. Auch an der so genannten Heimatfront. Air Chief Marshal Arthur Harris, Befehlshaber des britischen Bomber Command der Royal Air Force, ist entschlossen, in die Geschichte einzugehen. Er will partout beweisen, dass eine Nation, namentlich Deutschland, durch Flächenbombardements auf Städte in die Kapitulation zu zwingen ist.

Die deutsche Luftwaffe im Reichsgebiet wehrt sich mit dem Rücken an der Wand. Tagsüber muss sie es mit der qualitativ und quantitativ immer stärker werdenden amerikanischen 8. Luftflotte (USAAF) aufnehmen, die sich – noch – eher auf industrielle Ziele konzentriert. Nachts versucht die britische Luftwaffe, nach den Direktiven von Arthur Harris und Winston Churchill so viele deutsche Zivilisten wie möglich zu töten, um den Druck auf Hitlers Regime unerträglich werden zu lassen. Vom 24. Juli 1943 bis zum 3. August 1943 sterben – bereits in Zusammenarbeit mit den Amerikanern – in einer Serie von nächtlichen Bombenangriffen durch die britische Luftwaffe und kleineren Einflügen bei Tag durch die 8. USAAF alleine in Hamburg 31.647 Menschen, manche Quellen nennen 40.000 zivile Opfer.

Die deutschen Nachtjagdeinheiten stützen sich größtenteils auf die bewährten, jedoch bereits betagten Messerschmitt Bf 110-Varianten und zu Nachtjägern umkonstruierte Junkers Ju 88. Letztere haben noch ein Entwicklungspotential, während die Messerschmitt-Nachtjäger nur noch sehr begrenzt konstruktiv zu verbessern sind. Die Luftwaffe benötigt dringend einen modernen Nachtjäger.

Heinkel hat mit der He 219 „Uhu“ einen fortschrittlichen und schnellen, schwer bewaffneten Nachtjäger entwickelt, welcher sich selbst der britischen de Havilland Mosquito als ebenbürtig erweist (allerdings nur in der speziell zur Mosquito-Bekämpfung als Kleinserie aufgelegten, krass erleichterten und an Feuerkraft reduzierten Version A-6, mit einer Höchstgeschwindigkeit von 650 km/h im Vergleich zu 595 km/h der Mosquito NF Mk. XVII, zu 599 km/h bei der NF Mark XIX und 655 km/h Höchstgeschwindigkeit der gegen Ende 1944eingeführten Mosquito NF Mk. 30.). Mit einem überwiegend aus Holz gebauten Rumpf ist der kleine zweimotorige britische Aufklärer, Bomber, Markierungs-Bomber („Pfadfinder“) und Nachtjäger („NF“ steht für „Night Fighter“) leicht und daher enorm schnell. Die Mosquito erweist sich zu diesem Zeitpunkt als fast uneinholbar in der Luft. Ein deutsches Flugzeug, welches schnell genug ist, diese Maschine zu bekämpfen, gilt als Traum der deutschen Jägerpiloten. Er erfüllt sich schließlich Ende 1944 endgültig mit dem Düsenjet Messerschmitt Me 262, der jede Mosquito deklassiert. Es kommen am Kriegsende nur noch wenige Me 262 als Nachtjäger zum Einsatz, doch deren Piloten nehmen sich im Gefühl der Revanche gerade die britischen Mosquitos zum Ziel.

Als erstes Flugzeug der Welt besitzt die Heinkel He 219 (für beide Besatzungsmitglieder) einen druckluftbetriebenen Schleudersitz. Pilot und Funker genießen in der auf den Vorderrumpf aufgesetzten Glaskanzel Rücken an Rücken sitzend eine exzellente Rundumsicht. Ferner besitzt das Flugzeug eine Bugfahrwerksanordnung – das Muster ist konstruktiv hochmodern. Die normale Serien-Version A-5 ist immer noch stolze 615 km/h schnell – immerhin eine Gefahr für die Mosquito. Und durch die Waffenanordnung unter dem Rumpf und in den Tragflächenwurzeln entfällt jegliche Blendwirkung des Mündungsfeuers auf den Piloten. Doch unter dem anhaltenden Druck der Bombenangriffe hatte der für die deutsche Flugzeugrüstung zuständige Generalluftzeugmeister Erhard Milch beschlossen, die Produktion der allmählich unüberschaubaren Typenvielfalt auf wenige, dafür in Masse produzierte Typen zu beschränken.

Er übersieht dabei allerdings, dass die Ausstoßzahlen der Luftfahrtindustrie in Bezug auf die Nachtjäger der Typen Messerschmitt Bf 110 und Junkers Ju 88 keinen Anlass dazu geben, Sorge vor einer Reduzierung der „Massenproduktion“ dieser Flugzeugmuster durch neue Bandstraßen für ein Nachfolgemodell aufkommen zu lassen. Die Ersatzlieferungen reichen „hinten und vorne nicht“ – von einer durch die Heinkel He 219 gefährdeten „Massenproduktion“ kann keine Rede sein!

Milchs grundsätzlich dennoch sinnvollen Sichtweise fällt nun aber der „Uhu“ zum Opfer, obwohl Major Werner Streib von der I./NJG 1 in Venlo in dem verzweifelten Versuch, die Überlegenheit der Heinkel He 219 zu demonstrieren, am 11. Juni 1943 mit einer Erstserienmaschine in einer Nacht fünf viermotorige britische Lancaster-Bomber abgeschossen hatte. Als Milch das hört, sagt er lapidar: „dieser Mann hätte das in jeder Maschine geschafft!“.

Milch bleibt bei seiner Fehlentscheidung, die für die deutsche Nachtjagd getrost als Tragödie betrachtet werden muss. Es ist ähnlich, als hätten die zunächst auch skeptischen Verantwortlichen der Royal Air Force aus Angst vor dem Holzwurm auf ihre überragende „Mosquito“ verzichtet.

Immerhin gelingt es Heinkel, trotz politischer Widerstände 268 Maschinen dieses überlegenen Typs Heinkel He 219 an die Luftwaffe auszuliefern. Es sind vergleichsweise wenige, doch sie werden geflogen und in der I./NJG 1 auch effektiv eingesetzt.

Statt die dringend benötigten Heinkel He 219 in Großserie in Dienst zu stellen, werden nun die Junkers Ju 88 verbessert und ab dem Jahr 1944 in der G-1-Version ausgeliefert. Die Ju 88 der G-Serie sind hervorragende Maschinen und erreichen im zuletzt eingesetzten Typ G-7b (mit MW 50) auch 626 km/h. Trotzdem ist die Heinkel He 219 das überlegene Flugzeug.

Die Zerstörung der deutschen Städte können die Nachtjägerpiloten der Luftwaffe trotz aufopferndem Einsatzwillen nicht verhindern, weder in ihren bewährten Messerschmitt Bf 110-, noch in den moderneren Junkers Ju 88- oder gar in den wenigen Heinkel He 219 -Nachtjägern. Die Kapitulation des „Deutschen Reiches“ wurde dadurch allerdings nicht erzwungen – sondern Meter für Meter am Boden.

Die süddeutsche Großstadt Stuttgart im Jahr 1945 kurz nach dem Krieg (vgl. im Buch Seite 482).
Die süddeutsche Großstadt Stuttgart im Jahr 1945 kurz nach dem Krieg (vgl. im Buch Seite 482).